Es gibt viele unterschiedliche Möglichkeiten, Sprache so zu verändern, dass meine Sprachhandlungen nicht diskriminierend sind. In diesem Kapitel stellen wir nacheinander und systematisch solche Sprachhandlungen vor, die Personen benennen und in diesem Bereich antidiskriminierend wirken können. Wir geben Beispiele dazu, wie sie gebildet werden, wann sie Sinn machen und wie und wo sie angewendet werden können. Am Ende gibt es jeweils Hinweise zum Weiterlesen.
x-Form und *-Form (Sternchen-Form) I
Dix Studierx hat in xs Vortrag darauf aufmerksam gemacht, dass es unglaublich ist, wie die Universität strukturiert ist, dass es nur so wenige Schwarze /PoC Professxs gibt.
Das ‚x‘ signalisiert ein Durchkreuzen herkömmlicher → gegenderter Personenvorstellungen. Diese Form wird angewendet, wenn die Frage, ob die gemeinten Personen weiblich, männlich, → inter* oder → trans* sind, in einem Kontext keine Rolle spielt oder keine Rolle spielen soll. Es ist jeweils genau abzuwägen, was damit zum Ausdruck kommt. Das gleiche gilt für die *-Form. Sie nimmt symbolisch auf verschiedene, viel- fältige → Positionierungen Bezug. Momentan sind diese beiden Varianten die einzigen weiterverbreiteten und uns momentan bekannten Formen, die sprachliche → ZweiGenderung grundlegend herausfordern. Daneben gibt es viele Kontexte, in denen es wichtig ist, ob sich die gemeinten Personen als weiblich, männlich, inter* und_oder trans* verstehen oder wo eine Situation dadurch gekennzeichnet ist, dass eine ausschließliche Wahrnehmung von zwei Geschlechtern eine Rolle spielt – zum Beispiel, wenn es um StaatsbürgerInnenschaft geht. In diesen Fällen würde dies durch x-Formen ignoriert, weshalb andere Formen sinnvoller sind.
Bildung von Substantiven: Wenn möglich, wird im Singular ‚x‘, im Plural ‚xs‘ an den Wortstamm der dazugehörigen Verbform angehängt, z.B. Studierx, Studierxs und Lehrx, Lehrxs. Bei anderen Formen ist Kreativität gefragt, z.B. durch das Ersetzen der konventionalisiert gegenderten Endungen: Angestelltx, Angestelltxs und Doktox, Doktoxs. (Die Form wird jeweils ‚iks‘ ausgesprochen, im Plural ‚ikses‘.)
Bildung von Pronomen: Im Singular wird ‚x‘, im Plural ‚xs‘ als Personal- und Possessivpronomen verwendet. Als bestimmtes Pronomen fungiert die Form ‚dix‘, als unbestimmtes die Form ‚einx‘.
Weiteres: Die Dativ- und Akkusativformen entsprechen den Substantiven, die Genitivform wird durch das Anhängen eines ‚s‘ gebildet. ‚x‘ kann auch das Indefinitpronomen ‚man‘ (vgl. Kapitel 7) oder ‚eine’ ersetzen.
Für die *-Form (Sternchen-Form) I wird das ‚x‘ jeweils durch ein ‚*‘ bzw. die Pluralform ‚xs‘ durch zwei ‚**‘ ersetzt. Diese Variante eignet sich besonders in schriftsprachlicher Form.
hornscheidt, lann: feministische w_orte: ein lern-, denk- und handlungsbuch zu sprache und diskriminierung, gender studies und feministischer linguistik. Frankfurt a. M.: Brandes & Apsel, 2012, S. 293-302.
Dynamischer Unterstrich
We_lche Mita_rbeiterin will denn i_hre nächste Fortbildung zu antidiskriminierender Lehre machen? Sie_r soll sich melden. Der Kurs ist bald voll.
Diese Form wird benutzt, um insbesondere in der schriftsprachlichen Verwendung kritisch auf → zweigegenderte Formen, also die Vorstellung, es gäbe nur Frauen und Männer, zu verweisen und diese Vorstellung in Bewegung zu bringen.
Das Wandern des Unterstrichs durch ein Wort macht deutlich, dass es nicht einen festen Ort gibt, an dem ein Bruch in ZweiGenderung – also zwischen der konventionalisiert männlichen und der konventionalisiert weiblichen Form – statt-findet (vgl. z.B. statischer Unterstrich). Der dynamische Unterstrich will vielmehr zum Ausdruck bringen, dass die Infragestellung von Zwei- und → CisGenderung ein dynamisches, nicht festlegbares Modell ist, das sich kontinuierlich verändert. Weiterhin aber sind Frauen und Männer in Formen mit dynamischem Unterstrich explizit erkennbar. Das heißt, dass die herkömmliche sprachliche ZweiGenderung damit nicht grundlegend herausgefordert wird. Ausgesprochen werden alle Varianten des Unterstrichs mit einer sehr kurzen Pause an der Stelle im Wort, die der Unterstrich markiert. Der nachfolgende Wortteil wird dadurch fast wie ein einzelnes, aber eng zusammenhängendes Wort gesprochen.
Bildung von Substantiven: Der dynamische Unterstrich wandert durch ein Wort. D.h., er hat keinen festen Ort, sondern kann an verschiedenen Stellen vorkommen mit Ausnahme der Stelle, wo der Unterstrich zwischen der konventionalisiert männlichen und der konventionalisiert weiblichen Form eingefügt werden würde (vgl. Statischer Unterstrich).
Bildung von Pronomen: Auch in den Pronomen wandert der Unterstrich durch das Wort.
Weiteres: Unterstriche sind ebenfalls in Artikeln und Adjektiven möglich, z.B.: D_ie freundl_iche Mitar_beiterin des Immabüros war extrem gut darin, antirassistisch tätig zu sein und i_hre Koll_eginnen auch immer wieder darauf anzusprechen,wenn etwas diskriminierend war.
hornscheidt, lann: feministische w_orte: ein lern-, denk- und handlungsbuch zu sprache und diskriminierung, gender studies und feministischer linguistik. Frankfurt a. M.: Brandes & Apsel, 2012, S. 303-306.
Erste Verwendung des dynamischen Unterstrichs in: Tudor, Alyosxa: Rassismus und Migratismus: die Relevanz einer kritischen Differenzierung. In: Nduka-Agwu, Adibeli; Hornscheidt, Lann (Hrsg.): Rassismus auf gut Deutsch: ein kritisches Nachschlagewerk zu rassistischen Sprachhandlungen. Frankfurt a. M.: Brandes & Apsel, 2010, S. 396-420.
Wortstamm- oder Silbenunterstrich
Di_e Sprech_erin der queer_feministischen Hochschulgruppe konnte ihr_e Kommilito_ninnen, Freun_dinnen und die Mitarbeit_erinnen der Uni für i_hr Anliegen begeistern. Kei_ne verwendete ih_r Stimmrecht dagegen.
Diese Form kann in Kontexten genutzt werden, wo → ZweiGenderung als sprachlicher Bezugsrahmen gebraucht wird und gleichzeitig in einer möglichst einheitlichen Variante herausgefordert werden soll. Der Variante des Wortstamm- oder Silbenunterstrichs gelingt es, mit einer Brechung auf die Annahme, es gäbe ausschließlich Frauen und Männer, auf gesellschaftliche ZweiGenderungsprozesse also, Bezug zu nehmen. Dabei wird dies nicht als eine gleichbleibende Lücke zwischen der konventionalisiert männlichen Form und der konventionalisiert weiblichen Form realisiert, sondern die Lücke wandert. Die möglichst einheitliche Verwendung des Unterstrichs kann in dieser Variante eine Regelmäßigkeit in Texte bringen, um den Fokus auf andere Fragen zu legen, wie zum Beispiel → Rassismus.
Bildung von Substantiven: Es wird ein Unterstrich ‚_‘ nach dem Wortstamm, einer Silbe oder einem anderen für die Aussprache geeigneten Teil des Wortes eingefügt, jedoch auf keinen Fall zwischen der konventionalisiert männlichen und der konventionalisiert weiblichen Form (vgl. z.B. statischer Unterstrich).
Bildung von Pronomen: Pronominaformen werden so gebildet, dass der Unterstrich nicht zwischen der konventionalisiert männlichen und weiblichen Form liegt.
Weiteres: Der Unterstrich kann auch in anderen Zusammenhängen angewendet werden, um mehrere Wörter miteinander – mit einer Lücke – zu verknüpfen und dadurch zum Beispiel konventionalisierte Wahrnehmungen herauszufordern wie
z.B. in re_produzieren: Hier deutet der Unterstrich an, dass jedes Produzieren ein Reproduzieren ist und gleichzeitig jedes Reproduzieren ein Produzieren. Der Unterstrich spiegelt dieses reflexive Verhältnis von Produktion und Re_produktion wider. Die Lücke durch den Unterstrich macht zugleich deutlich, dass beides trotzdem nie genau identisch ist.
die Variante ‚sehen_hören‘ als kombinierte Verbform. Dies kann z.B. deutlich machen, dass Personen in verschiedenen Formen, mit Laut- oder Gebärdensprache, kommunizieren und dass beides nebeneinander und gleichzeitig der Fall sein kann, auch in Kombination miteinander und auch nie identisch.
Nduka-Agwu, Adibeli; Hornscheidt, Antje Lann: Der Zusammenhang zwischen Rassismus und Sprache. In: Diexs. (Hrsg.): Rassismus auf gut Deutsch: ein kritisches Nachschlagewerk zu rassistischen Sprachhandlungen. Frankfurt a. M.: Brandes & Apsel, 2010, S. 11-52.
*-Form (Sternchen-Form) II und statischer Unterstrich
Die erste Amtshandlung der neugewählten Präsidentin war es, alle Mitarbeiter_innen aufzufordern, die Kolleg_innen über die zentrale Arbeit der Antidiskriminierungsstelle der Universität zu informieren.
Diese Form bietet die Möglichkeit einer ersten kritischen Bezugnahme auf sprachliche → Zwei-Genderung (ohne diese grundsätzlich infrage zu stellen) und kann in der *-Variante gleichzeitig eine Vielfalt von → Positionierungen symbolisieren. Der statische Unterstrich wird auch Gender_Gap genannt, also Gender_Leerstelle. Die Lücke soll vielfältige Möglichkeiten und Gestaltungsspielräume symbolisieren. Die *-Variante kann letzteres stärker herausstellen, da das Sternchen viele unterschiedliche Strahlen hat und damit noch mal stärker symbolisch ganz Unterschiedliches meinen kann. In einigen akademischen Kontexten werden beide Varianten bereits regelmäßig angewendet. Die neuen Formen irritieren und befördern somit ein Anhalten und Nachdenken über die Wörter und Sprachhandlungen. Das wird mehrheitlich als eine positive Herausforderung erlebt.
Bildung von Substantiven: Es wird ein Sternchen ‚*‘ oder Unterstrich ‚_‘ zwischen der konventionalisiert männlichen und der konventionalisiert weiblichen Form eingefügt.
Bildung von Pronomen: Es wird entweder ein Unterstrich ‚_‘ oder ein Sternchen ‚*‘ zwischen die weiblichen und männlichen, also zweigegenderten Formen gesetzt.
Herrmann, Steffen Kitty: Performing the gap: queere Gestalten und geschlechtliche Aneignung. In: Arranca!, Berlin, Band 28 (2003). http://arranca.org/ausgabe/28/performing-the-gap. (18.07.2013)
Generisches Femininum bzw. umfassende Frauisierung
Alle Professorinnen der Universität Leipzig freuen sich, dass sie endlich in ihren Texten ausschließlich weibliche Formen benutzen können.
Diese Form kann in Kontexten genutzt werden, in denen eine implizit männliche Norm besteht, die nun sprachlich irritiert werden soll. Diese Sprachhandlung wirkt insbesondere in Kontexten aufrüttelnd, in denen männliche Normalvorstellungen wenig hinterfragt sind. Die Berufsgruppe der ‚Professoren der Humboldt- Universität‘ wird beispielsweise prototypisch (und oft unbewusst) als ausschließlich männlich assoziiert, wie Studien zur kognitiven Wahrnehmung von Personenbenennungsformen, sog. Perzeptionsstudien, zeigen (vgl. Kapitel 8). Hier kann eine umfassende → Frauisierung, also z.B. die ‚Professorinnen der Humboldt-Universität‘, Konzeptualisierungen erfrischend herausfordern. Vorsicht ist allerdings geboten, wenn es in einem spezifischen Zusammenhang darum geht, Geschlechterverhältnisse
deutlich zu machen. In diesem Fall kann die Form eher von → sexistischen/genderistischen Strukturen ablenken. Wie sinnvoll ist z.B. die Verwendung, wenn circa 80 Prozent aller unbefristeten Professuren von Männern besetzt sind?
Bildung von Substantiven: Es werden ausschließlich die konventionalisiert weiblichen Formen benutzt.
Bildung von Pronomen: Es werden ausschließlich die konventionalisiert weiblichen Formen benutzt.
Pusch, Luise F.: Deutsch auf Vorderfrau: sprachkritische Glossen. Göttingen: Wallstein-Verlag, 2011.
a-Form
Unsa Lautsprecha ist permanent auf Demos unterwegs. Ea erfreut sich hoher Beliebtheit.
Diese Form greift ebenfalls die Idee von einer herausfordernden, stärkeren → Frauisierung von Sprache auf, um mit männlich geprägten Assoziationen zu brechen. Sie ist auch in unterschiedlichen autonomen Kontexten zu finden.
Dort werden verschiedenste Wörter und Phrasen durch ‚-a‘-Endungen umgestaltet und dadurch Wahrnehmungen irritiert und neu belebt.
Bildung von Substantiven: Alle ‚-er‘-Endungen werden durch die Endung ‚-a‘ ersetzt bzw. im Plural durch ‚-as‘. Die ‚-a‘-Endung lässt sich beispielsweise für Dinge produktiv nutzen, um konventionalisiert männlich assoziierte ‚-er‘-Endungen zu vermeiden, wie z.B. bei Türöffna, Computa oder Drucka.
Eine weitere Möglichkeit ist, als Irritation das Zeichen ‚@’ an Substantive anzuhängen bzw. in Worte einzufügen. In kritischen Kontexten im spanischsprachigen Raum wird so z.B. aus der konventionalisiert männlichen Endung -o und der konventionalisiert weiblichen Endung -a die gemeinsame Endung -@ (‚compañer@s‘ an Stelle von ‚compañeras y compañeros‘). Ähnlich wie beim Binnen-I im Deutschen bleibt hier → Zweigenderung unhinterfragt, gleichzeitig werden die Wörter stärker ‚weiblich‘ assoziiert. Weitere mögliche Beispiele für diese insbesondere schriftsprachliche Form der Irritation sind: hum@n oder m@n.
hornscheidt, lann: feministische w_orte: ein lern-, denk- und handlungsbuch zu sprache und diskriminierung, gender studies und feministischer linguistik. Frankfurt a. M.: Brandes & Apsel, 2012, S. 321-332.
Böttger, Ben; Macedo, Rita; u.a.: Unsa Haus und andere Geschichten. Berlin: NoNo Verlag, 2010.
Binnen-I und ZweiGenderung
Seit heute streichen mehr als zwei Drittel der Studierxs die Angabe zur StaatsbürgerInnenschaft auf allen Formularen durch.
Diese Formen werden in Kontexten benutzt, in denen die Annahme, es gäbe ausschließlich Frauen und Männer, also → ZweiGenderung, als unhintergehbare,feststehende Norm, gilt bzw. in Situationen, in denen sich Personen ausschließlich als → CisFrauen und → CisMänner definieren. Dazu gehören v.a. rechtliche und medizinische Kontexte (vgl. Kapitel 3, Punkt b).
Bildung von Substantiven: In die konventionalisiert weiblichen Formen wird ein ‚großes I‘ eingefügt. Umlaute in der konventionalisiert weiblichen Form bleiben erhalten, z.B. UniversitätsärztIn.
Bildung von Pronomen: Die Endungen in konventionalisiert weiblichen Formen werden in Großbuchstaben geschrieben, z.B. einE.
Weiteres: Artikel und Pronomen werden in der konventionalisiert weiblichen Form benutzt. Ausgesprochen wird diese Form mit einer kurzen Pause vor dem großen ‚I‘ und einer Betonung desselben. Durch die starke Anlehnung an die konventionell weibliche Form kann es vor allem bei der gesprochenen Sprache zu ähnlichen Effekten wie beim generischen Femininum bzw. der umfassenden → Frauisierung kommen. Bei der ZweiGenderung werden konventionalisiert weibliche und konventionalisiert männliche Formen durch ein ‚und‘ verbunden, z.B. US-Amerikanerinnen und US-Amerikaner. So wird die Zwei-Geschlechter-Norm deutlich hervorgehoben. Dagegen macht es Sinn, bei Personen mit neuseeländischer Staatsangehörigkeit Neuseel_änderinnen mit Unterstrich zu schreiben, da neuseeländische Staatsangehörigkeit nicht → zwangszweigendernd ist, also Menschen nicht dazu zwingt, sich und andere in die Kategorien ‚Frau’ und ‚Mann’ einzuordnen. Pronomen können ebenfalls durch ein ‚und‘ oder durch ein ‚oder‘ verbunden werden. Die weibliche Form wird dabei vorangestellt. Es ist ebenfalls möglich, die Formen z. B. in einem Text konsequent abzuwechseln.
Das Binnen-I wird vielfach mit Sprachinterventionen aus bzw. in feministischen Kontexten assoziiert. Studien, die untersuchen, was Menschen sich vorstellen, wenn sie bestimmte Sprachformen hören oder lesen, zeigen übereinstimmend, dass diese Form stärker die Möglichkeit bietet, Vorstellungen von weiblichen Personen aufzurufen. Beide Formen verbleiben jedoch innerhalb der Vorstellung, dass es ausschließlich Frauen und Männer gibt. Dies kann in Kontexten wichtig sein, in denen auf konkrete soziale oder gesellschaftliche Verhältnisse oder auf rechtliche bzw. verwaltungstechnische Normen verwiesen werden soll (z.B. in StaatsbürgerInnenschaft, die in den meisten Fällen grundsätzlich und unhintergehbar zweigegendert ist – und auf diese Weise auch diskriminiert).
Pusch, Luise F.: Das Deutsche als Männersprache. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1984.
Kusterle, Karin: Die Macht von Sprachformen: der Zusammenhang von Sprache, Denken und Genderwahrnehmung. Frankfurt a. M.: Brandes & Apsel, 2011.