„Oppressive language does more than represent violence; it is violence; does more than represent the limits of knowledge; it limits knowledge.“
(Toni Morrison, 1993: Nobel Lecture)
Durch meine Sprachhandlungen gestalte ich Universität und meinen Alltag mit
Wenn ich anfange, mich mit Sprachhandlungen und Diskriminierungen zu beschäftigen, merke ich, wie ich in vielfacher Form (heraus)gefordert werde. Mir wird z.B. bewusst, wie stark viele sprachlich hergestellte Vorstellungen und Handlungen durch gesellschaftliche Normen und → Machtverhältnisse geprägt sind. Vielleicht war mir bislang gar nicht klar, dass ich durch meine Sprachhandlungen auch immer wieder diese Normen und Machtverhältnisse re_produziere. Anhand meiner Sprachhandlungen kann ich also anfangen zu lernen (und das endet nie), wie stark auch ich Vorstellungen in und durch mein Sprechen und Schreiben normalisiere.
Gleichzeitig erlebe ich, wie spannend es ist, neue Handlungsmöglichkeiten auszuprobieren. Jeden Tag gibt es unendlich viele Möglichkeiten, durch mein Schreiben und Sprechen antidiskriminierend zu handeln – selbst dann, wenn ich das
Gefühl habe, dass die Strukturen stark und starr sind, dass ich nichts erreichen kann, dass ich mich verausgabe. Auch in Situationen, in denen ich unsicher bin oder vielleicht sogar Angst habe, kann ich dennoch für mich entscheiden, welche Formen ich ausprobiere, wie ich reagiere, wo ich mir Verbündete suche, an welchen Punkten ich kämpfe und an welchen nicht, an welchen Stellen ich mit welchen Anteilen von mir anwesend sein kann und will.
Damit gestalte ich mein Umfeld, z.B. die Universität, selbst mit und kann in jedem Moment aktiv etwas verändern, selbst wenn es nur für mich selbst ist und ich mich dadurch → empowert fühle.
Wenn ich anfangen möchte, mich mit Sprachhandlungen, Diskriminierungen und Handlungsmöglichkeiten zu beschäftigen, kann ich mir z.B. die folgenden Fragen stellen:
Wie will ich benannt werden? Wie will ich wahrgenommen werden in welchen Kontexten und Situationen? Diese Fragen sind nie abschließbar, sondern ich kann sie mir immer wieder neu stellen, immer wieder neue Formen und Interaktionsformen ausprobieren und finden, mich immer wieder neu herausfordern und hinterfragen, also → ver_orten.
Was höre ich von anderen Personen, direkt und indirekt, wie sie benannt, wie sie wahrgenommen werden wollen? Wichtig ist hier, mich selbst in Bezug auf meine eigene → Privilegierungen zu reflektieren und ausgehend von diesen genauer denjenigen zuzuhören, die sich diskriminiert fühlen. Ich kann mich in verschiedenen Situationen fragen: Werde ich privilegiert oder diskriminiert oder vielleicht auch beides und welche Rolle spielt das in einer konkreten Situation? Bin ich kritisch ver_ortet, d.h. habe ich diese Diskriminierungsstrukturen angefangen zu hinterfragen und versuche ich dagegen zu handeln? Genauer zuzuhören bedeutet beispielsweise auch, genauer zu reflektieren, welche Stimmen ich bisher nicht gehört habe, welche Möglichkeiten zum Zuhören ich mir bisher nicht gegeben habe. Wie also kann ich aktiv zuhören, auch beim Lesen von Texten?
Wie kann ich Formen, die mich und_oder andere diskriminieren, verändern? Ein Orientierungspunkt dafür ist: Die Personen, die → strukturell diskriminiert sind, befinden darüber, wie sie benannt werden wollen. Werde ich privilegiert in Bezug auf eine Diskriminierungsform, kann ich denen, die diskriminiert werden und darüber sprechen und schreiben, genau zuhören und sie als kompetente Ex_pertinnen ernst nehmen. Ich nehme mir dadurch Raum zum Lernen, anerkenne die Selbstbenennungen von diskriminiert positionierten Personen und nutze meine Irritation, die ich vielleicht habe, weil mir vieles neu und ungewohnt ist, meine Normalvorstellungen und Kommunikationsformen zu verändern. Ich lerne also sprachhandelnd, und sprachlich zu handeln, ist lernen.
Und ich kann mich fragen: Wie will ich mit anderen kommunizieren? Mit wel_chen will ich wozu kommunizieren?
Viele weitere Fragen könnten wir hier auflisten. Fragen, die nie abschließend beantwortet werden können und immer wieder neu gestellt werden müssen, deren Antworten sich mit der Zeit und in bestimmten Situationen und Kontexten verändern können. In den folgenden Abschnitten beschäftigen wir uns mit Fragen zu Sprache bzw. Sprachhandlungen und wie sie mit Normierungen, Benennungen und Nicht-Benennungen, Diskriminierungen und Privilegierungen, Entscheidungen und Veränderungsmöglichkeiten zusammenhängen.
Unsere Vorschläge zeigen, wie wir, die wir diese Broschüre als eine statusmäßig und in Bezug auf Diskriminierungsformen gemischt zusammengesetzte Gruppe geschrieben haben, diese Zusammenhänge im Moment verstehen_diskutieren_konzeptualisieren.
Welche Leute können an der Uni ohne nachzudenken aufs Klo gehen und welche trinken zur Vermeidung nichts und verdrücken sich das Pinkeln stundenlang? Klosituationen sind nicht für alle selbstverständlich, Interventionen dagegen können Blasen retten und Anwesenheiten normalisieren.
Was ist Sprache bzw. was sind Sprachhandlungen?
Sprache ist kein bloßes Kommunikationsmittel, das auf neutrale Weise Informationen transportiert. Sprache ist immer eine konkrete Handlung. Über Sprache bzw. Sprachhandlungen wird Wirklichkeit geschaffen. Das passiert z.B. dadurch, dass mit einzelnen Wörtern Zuschreibungen erzeugt werden, die so oder aber auch anders hergestellt werden könnten. Wann beziehe ich mich beispielsweise auf eine Person mit der Aussage ‚der Mitarbeiter mit dem Bart‘, wann ‚der blinde Mitarbeiter‘, und warum eigentlich nie ‚der sehende Mitarbeiter‘? Welche Normen rufe ich auf diese Weise auf? Dasselbe passiert auch, wenn mit bestimmten Sätzen, Phrasen, Texten oder (Sprach-)Bildern immer ganz bestimmte Dinge ‚wie selbstverständlich‘ assoziiert werden: wenn beispielsweise ‚dunkel‘ als eine Metapher oder die Farbe ‚Schwarz‘ als ein Bild mit bestimmten Verben und Handlungen verwendet und in diesen Zusammenhängen mit Bedrohung assoziiert werden, wenn Adjektive, die → beHinderung ausdrücken, mit Unwissenheit verknüpft werden, wenn ‚Bart‘ im Beispiel weiter oben mit einer männlichen Person assoziiert wird, Weiblichkeit mit starker Emotionalität und_oder Schwäche.
Sprachhandlungen sind damit nie neutral, auch wenn dies nicht allen immer und sofort bewusst ist. Das, was durch und mit Sprachhandlungen geschieht, muss nicht explizit in diesen benannt sein, sondern kann auch eine lange Bedeutungsgeschichte haben und aufrufen oder als Voraussetzung in die Äußerung mit eingehen. In der Aufforderung ‚alle lesen bitte diesen Text zum nächsten Mal‘ ist beispielsweise vorausgesetzt, dass ‚alle‘ lesen können. In einer Werbung der deutschen Bundesregierung zum ‚Recht auf Reisen für alle’, die auf großen Plakaten an Flughäfen angebracht ist, sind hingegen mit ‚alle‘ ganz offensichtlich nicht Personen gemeint, die keinen deutschen Pass haben, wodurch dieses ‚alle‘ hier eine Gruppe als Norm herstellt und viele andere diskriminierend ausschließt. Auf dem Plakat sitzt eine Person im Rollstuhl – es handelt sich also offenbar um eine Anzeige für die Ziele der Anti-Diskriminierungsrichtlinie zu beHinderung. Aber auch da bleiben die Personen, die einen Rollstuhl benötigen (würden) und keinen deutschen Pass haben, ausgeschlossen aus der Gruppe ‚alle‘.
Sprachliche Diskriminierungen können also sowohl direkt und explizit sein als auch indirekt und implizit, über Verallgemeinerungen und Vereinnahmungen stattfinden.
Wie hängen Sprachhandlungen und Normierungen zusammen?
Mit Sprachhandlungen werden automatisch (bewusst oder unbewusst) soziale Normen aufgerufen. Soziale Normen bilden die Grundlage für eine Gesellschaft und beeinflussen alltägliches Denken und Handeln. Nachfolgend werden ein paar Beispiele für solche Normen genannt, die sich in Sprachhandlungen ausdrücken und die zeigen, wie grundlegend Diskriminierungsstrukturen in der Gesellschaft insgesamt und an der Universität im Speziellen sind.
So ist es beispielsweise eine diskriminierende Norm, …:
dass ich als Person, die sich vielleicht noch nicht so viel mit Diskriminierung beschäftigt hat, Menschen sprachlich wie selbstverständlich einer von zwei → Geschlechtsgruppen zuordne (‚Frauen‘ und ‚Männer‘), z.B. bei sozialen Relationen (‚das ist der Partner von…‘ oder ‚kennst du die Tante, die…‘), und damit eine Norm von → Zweigeschlechtlichkeit re_produziere.
dass ich als → Schwarze Person, d.h. als eine Person, die durch → Rassismus diskriminiert wird, häufig über eine vorgebliche Hautfarbe eingelesen werde. Dieses Reduzieren auf eine fragwürdige visuelle Vorstellung wird dann häufig als entscheidendes Merkmal benutzt, mich als nicht kompetent wahrzunehmen – ich werde also nicht nach meiner Funktion, um die es in einer bestimmten Situation geht, benannt und wahrgenommen.
dass ich als → ableisierte, d.h. Dozen_tin, d_ie nicht → beHindert wird, im Gespräch mit einer studentischen Arbeitsgruppe auf eine bestimmte Stud_entin hinweise und mich dabei nicht auf ihre inhaltlichen Beiträge beziehe, sondern auf ihr_e Kommunikationsform – beispielsweise Gebärdensprache – als sie charakterisierendes Kriterium, weil ich mich bisher noch nicht mit dieser Diskriminierungsform beschäftigt habe. Und wobei ich außerdem Lautsprache nicht explizit als charakterisierendes Kriterium für die meisten anderen Stud_entinnen im Seminar benenne. (Gleichzeitig ist das Beispiel nahezu absurd, da Universität und vorgelagerte Bildungszugänge so organisiert sind, dass die Zahl gebärdensprachlich kommunizierender Stu_dentinnen verschwindend gering ist.)
dass ich als Femin_istin die Formen, die ich explizit für Männer verwende (‚Arbeiter‘), gleichzeitig in sehr vielen Kontexten auch als die Form lesen muss, die sich auf ‚alle‘ Personen beziehen ‚soll‘, was ich immer wieder als eine Gleichsetzung von Mann und Mensch lese.
dass meine Versuche, als Fe_ministin weibliche Formen als allumfassende, sogenannte generische Formen zu benutzen (z.B. eine Professorin muss pro Semester…), auf so viel Widerstand stoßen. Das zeigt mir, dass Sprachformen etwas mit Denkvorstellungen zu tun haben und Menschen herausfordern können, wenn ihre Verwendung von den diskriminierenden, Männer bevorteilenden Normen abweichen.
dass ich als →weiße Person in der Regel nach Kompetenz oder konkreter Funktion (z.B. die Sachbearbei_terin) benannt werde, nicht aber über meine Privilegien in Bezug auf Rassismus oder über Konstruktionen von Hautfarbe und Aussehen.
dass ich als eine Person mit einem konventionalisiert ‚deutsch‘ einlesbaren Namen nie gezwungen bin, Anderen kontinuierlich zu erklären, welche Assoziationen mein Name in Bezug auf meine Herkunft, regionale Zugehörigkeit und_oder StaatsbürgerInnenschaft haben könnte und ich auch nie gezwungen bin, seine Aussprache zu erläutern oder zu korrigieren.
dass ich als Person im Rollstuhl häufig erlebe, wie ‚über mich‘ gesprochen wird, statt mit mir oder wenn, dann so, als wäre ich ein Kind, wenn ich zum Beispiel gemeinsam mit einx Freundx unterwegs bin und immer x gefragt wird, was wir vorhaben oder was ich zum Essen bestellen möchte. (Vgl. zur Aussprache dieser Formen Kap. 3)
Diese ‚Ichs‘ können Personen sein, die eine oder mehrere dieser Normen jeden Tag so erleben und erfahren. Alle diese Beispiele zeigen, wie soziale Normen sprachlich aufgerufen und bestimmte Diskriminierungsformen immer wieder bestätigt werden. D.h., über Sprachhandlungen finden wichtige gesellschaftliche Normierungsprozesse statt. Sie manifestieren sich z.B. in grammatikalischen Regeln, Stellenausschreibungen, Lexika, Sprachbroschüren wie dieser, Fragebögen, Toilettensymbolen, verwaltungstechnischen Vorschriften oder Immatrikulationsformularen, von denen wir einige auch in diesem Text diskutieren.
Welche Rolle spielen Benennungen und Nicht-Benennungen?
Sprachhandlungen orientieren sich vielfach an den Maßstäben, die in der Gesellschaft als ‚normal’ gelten, und verstärken diese Normen dadurch, dass sie gerade nicht benannt werden müssen. Beispielsweise ist eine momentan häufig unbenannte Norm in Bezug auf Menschen männlich, → weiß, umfassend nicht beHindert (→ ableisiert) zu werden sowie heterosexuell, Mittelklasseprivilegien zu haben. Auf diese implizite Weise werden gesellschaftliche → Machtverhältnisse umso machtvoller re_produziert, normalisiert und bestätigt.
Gesellschaftliche Machtverhältnisse und damit verbundene Normsetzungen kommen durch Benennungen und Nicht-Benennungen zum Ausdruck. Es macht einen Unterschied, ob eine → privilegierte → Positionierung, also z.B. weiß und männlich zu sein und nicht beHindert zu werden, in einem bestimmten Kontext benannt oder nicht benannt wird. Wird sie nicht benannt, wird das in antidiskriminierendem Aktivismus auch Entnennung genannt, um klarzumachen, dass es eine Handlung ist. Wird eine diskriminierte Positionierung nicht benannt, wird also in Texten, Beispielen und Bezugnahmen in Gesprächen so getan, als würde es nur heterosexuelle Personen geben oder nur Personen, die sich legalisiert in der Universität aufhalten können, wird dies Ent_Erwähnung von Personen genannt, die – genau durch die Nicht-Benennung – diskriminiert sind.
Diese wichtige Unterscheidung wird an folgendem Beispiel deutlich: In vielen öffentlichen Gebäuden gibt es einerseits ‚eindeutig‘ gekennzeichnete Toiletten für Frauen und Männer, die nicht-barrierefrei sind, und andererseits separate Toiletten für Menschen mit beHinderungen, die nicht gegendert sind, d.h. bei denen nicht nach Toiletten für Frauen und Männer unterschieden wird. Die nicht-barrierefreien Frauen- und Männer- Toiletten benennen zum einen eine gesellschaft- lich geschaffene Norm, die sagt, dass es zwei Geschlechter gibt (→ ZweiGenderung) und entnennen zum anderen, dass die jeweilige Toilette Personen ausschließt, die einen Rolli als Bewegungsform benutzen. ‚Frau‘ bzw. ‚Mann’ werden hier also implizit ent-hindert (was hier also heißt: bewegungstechnisch weitgehend ableisiert). Rollstühle als Bewegungsform benutzende Frauen sind beispielsweise in der Benennung ‚Frauen’toilette nicht mit gemeint. Toiletten für Menschen mit bestimmten Formen von BewegungsbeHinderungen ordnen Personen dagegen ausschließlich danach ein, ob sie eine bestimmte Form von beHinderung haben oder nicht. Ob diese Personen Frauen oder Männer sind, spielt keine Rolle. beHindertentoiletten entnennen dadurch also im gleichen Moment die Norm der ZweiGenderung (Mann/Frau). Auch hier realisiert sich sprachlich, dass beHinderte Personen häufig nicht als weiblich oder männlich wahrgenommen werden, sondern ausschließlich als beHindert.
Kann es Sexismus ohne Rassismus und Ableismus geben?
Ganz schön kompliziert. Und ganz schön viel: Sprache spiegelt nicht einfach etwas wider, was sowieso da ist, sondern ist ein wichtiger Bestandteil gesellschaftlicher Normen und Situationen, stellt diese mit her, bestätigt diese, macht sie selbstverständlich. Sprachhandlungen sind durch das Benennen, Klassifizieren, Ein- und Zuordnen, Bewerten, Einlesen und Ausschließen von Personen – was wir kontinuierlich machen – macht- und gewaltvoll. Denn sie re_produzieren dadurch → Diskriminierungen. Dies geschieht nicht nur in Bezug auf → Geschlecht. Geschlecht bzw. Gender ist immer schon mit anderen Kategorien sozialer Ungleichheit verwoben – es gibt Geschlecht nicht jenseits anderer struktureller Ordnungsmechanismen, wie das letzte Beispiel mit der Toilettenzuordnung deutlich zeigt. In Sprachhandlungen werden so stets gleichzeitig → Sexismen/Genderismen, → Rassismen, → Ableismen, → Klassismen,→ Migratismen etc. aufgerufen, wiederholt und verfestigt. Ist eine → Schwarze Frau durch Sexismus diskriminiert? Oder durch Rassismus? Oder ist nicht Sexismus/Genderismus immer auch rassifiziert, (dis)ableisiert, klassifiziert, migratisiert und andersherum auch Rassismus immer gegendert, (dis)ableisiert, klassifiziert und migratisiert? Dieser Zusammenhang (oder: Sachverhalt) heißt in der Forschung und in antidiskriminierendem Aktivismus häufig → Intersektionalität oder Interdependenz und meint die Untrennbarkeit dieser Diskriminierungen, dass sie immer zusammen und gleichzeitig da sind und wirken.
Warum gehen Sprachhandlungen immer Entscheidungen voraus?
Konkreten Sprachhandlungen gehen – bewusst oder unbewusst – immer auch bestimmte Entscheidungen voraus oder sie basieren auf bestimmten Vorannahmen, die auf diese Weise re_produziert werden und sich weiter verfestigen: Welche Personen benenne ich, welche nicht? Welche Sprachformen benutze ich für diese und welche nicht? Welche Formen der Bezugnahme stelle ich damit her? Sage ich z.B. ‚die Person, die da läuft‘ oder ‚die Frau, die da läuft‘, ‚die junge Frau, die da läuft‘, ‚die interessante junge Frau, die da läuft‘, ‚die Frau, die vor der Jugendgruppe vor der Kneipe wegläuft‘? Was stelle ich auf diese Weise her? Was mache ich relevant und wofür? Was bleibt ungesagt, also entnannt oder ent_erwähnt?
Viele dieser Entscheidungen habe ich mir bisher vielleicht nicht bewusst gemacht, über viele habe ich nicht nachgedacht, sondern bin einfach gängigen, für mich selbstverständlichen Mustern gefolgt, habe Sprachhandlungen so verwendet, wie auch andere um mich herum sie verwenden. Ich habe diese Entscheidung also nicht unbedingt bewusst und reflektiert getroffen. Trotzdem sind es jeweils Entscheidungen, Handlungen, die ich so vollziehe, auch im Nicht-darüber Nachdenken. Sprache ist u.a. deshalb so lebendig, so kontinuierlich veränderbar und so spannend, weil Sprache eine Handlung ist, die ich selbst festlegen und beeinflussen kann, die ich sogar selbst kontinuierlich festlege – bestätigend oder verändernd. Ich kann meine eigenen Sprachhandlungen hinterfragen und verändern. Ich kann mir Sprachhandlungen also (wieder) aneignen – ich kann mir meine Sprachhandlungen bewusst machen und sie reflektieren und dann feststellen, dass meine Sprachhandlungen einen Unterschied machen können! Und dass dies spannend ist und Spaß macht, meine Sichtweisen erweitert und mich genauer und aktiv zuhören lässt.
Das bedeutet gleichzeitig: Auch wenn ich schweige, handle ich. Ich treffe eine Entscheidung, auch wenn ich z.B. weghöre und wegsehe, wenn ich nicht weiter über meine Sprachformen nachdenke, wenn ich nicht aktiv zuhöre, auch dem Schweigen Anderer nicht, und wenn ich die Stimmen von Personen, die diskriminiert sind, nicht in ihren Forderungen ernst nehme, gewisse Begriffe zu meiden und andere zu gebrauchen, wenn ich mich nicht traue, gegen Diskriminierungen zu intervenieren, wenn ich hoffe, dass andere nichts gehört haben, wenn eine Person diskriminierend benannt wird, wenn alle lachen und ich mitlache, wenn ich mein Unwohlsein mit sprachlichen Interaktionen runterschlucke, wenn ich verdränge und nicht wahrhaben will.
Wie verändere ich meine Sprachhandlungen?
Sprachhandlungen schaffen und bestätigen gesellschaftliche Normen und Werthaltungen – fordern diese jedoch gleichzeitig auch heraus. Auf diese Weise tragen veränderte Sprachhandlungen zu gesellschaftlichem Wandel bei, sind aber nicht immer und nicht in jedem Kontext in gleichem Umfang und in derselben Form möglich. Wie groß Handlungsräume sind und wie ich sie am besten gestalte, kann sich für mich oft verändern und kann ich am besten vorher und möglichst mit anderen zusammen überlegen. Meine Entscheidungen sind z.B. abhängig von meiner → Positionierung innerhalb der → Macht- und Statusverhältnisse an der Universität (Bin ich in einem Abhängigkeitsverhältnis von anderen Personen im Raum, die mich benoten, mich ‚betreuen‘, meine Vorgesetzten sind? Habe ich eine befristete Stelle?) und davon, wie sicher ich mich in einer Situation fühle und_oder wie viele andere da sind, die mich unterstützen.
Manche Sprachhandlungen lassen sich einfach verändern, bei anderen ist es schwieriger. Für manche braucht es Verbündete, um z.B. in einem Seminar gemeinsam darauf zu achten, dass möglichst keine → rassistischen Diskriminierungen re_produziert werden. Oder um zu kritisieren und zu verändern, dass ein → weißer Raum auch weiterhin als selbstverständlich weiß gehalten und durch explizite und implizite rassistische Bezugnahmen hergestellt wird. Für andere Sprachhandlungen muss vielleicht zuerst die eigene Wahrnehmung sensibilisiert und erweitert werden: um z.B. gehbeHinderte Personen nicht mit der allgemeinen Aufforderung zu diskriminieren, bei der persönlichen Vorstellung aufzustehen, oder im Ankündigungstext eines Seminars implizit davon auszugehen, dass alle Seminarteilnehmer*innen den Beitrag für die obligatorische Exkursion ohne Probleme aufbringen können.
Ich kann nicht nur über meinen Sprachgebrauch kritisch nachdenken und mir z.B. neue Begriffe aneignen, sondern auch kreative Versuche unternehmen, in meinen Sprachhandlungen mir selbst und meiner spezifischen → Ver_ortung Raum zu geben, z.B.: Bin ich feministisch? Arbeite ich anti-rassistisch? Habe ich eine Studiengruppe für Leute gegründet, die keinen akademischen Background haben? Ich kann Worte ausprobieren, finden, immer wieder neu verändern, die sich für mich richtig und passend anfühlen. Ich kann probieren, mich Bezeichnungen anzunähern, die mich und andere anwesend sein lassen.
Sich Sprache kritisch und reflektierend als Handlungsdimension (wieder) anzueignen, ist nie abgeschlossen.
Es gibt nicht DIE → empowernde, nicht-diskriminierende Sprache, sondern nur immer wieder neue, kreative Versuche, Wahrnehmungsgewohnheiten zu irritieren und sprachliche Diskriminierungen wahrzunehmen, herauszufordern, zu bemerken, anzusprechen, dagegen anzuschreiben und den eigenen Sprachgebrauch zu verändern.
Zum Weiterlesen:
hornscheidt, lann: feministische w_orte: ein denk- und handlungsbuch zu sprache und diskriminierung, gender studies und feministischer linguistik. Frankfurt a. M.: Brandes & Apsel, 2012.
Bretz, Leah; Lantzsch, Nadine: queer_feminismus: label & lebensrealität. Münster: Unrast-Verlag, 2013.