Nicht allen Sprachformen, die mit dem Anspruch an Antidiskriminierung eingesetzt werden, gelingt es, diesen auch zu erfüllen. Im Folgenden sollen einige dieser Varianten erläutert werden:
Mitmeinende pseudogenerische bzw. androgendernde Maskulina
Häufig sind pseudogenerische bzw. → androgendernde Maskulina in Texten mit dem Zusatz zu finden, dass aus Gründen der Einfachheit oder Lesbarkeit nur die männlichen Formen verwendet werden, alle Personen jedoch in dieser Form mitgemeint seien. Dieser Umweg widerspricht der Idee verantwortlicher und antidiskriminierender Sprachhandlungen grundlegend und stellt keine antidiskriminierende Sprachhandlung dar. Androgendernde Formen rufen prototypisch männliche Vorstellungen auf, sind identisch mit den Formen, die sich spezifisch auf Männer beziehen und sind daher nicht neutral, sind also nicht einfacher oder lesbarer für alle Personen, sondern nur für → Privilegierte. So lange es die Idee von → Geschlecht und → Zwei- Genderung zur grundlegenden Einteilung und Wahrnehmung von Menschen gibt, gibt es keine Neutralität über Formen, die männliche Personen und Personengruppen bezeichnen.
Clara Zetkin war eine weiße, sozialistisch / kommunistische Politikerin und Aktivistin der proletarischen Frauenbewegung Ende des 19. / Anfang des 20. Jahrhunderts.
Partizipialformen
Inzwischen sind Partizipialformen in universitären Kontexten weit verbreitet. Sie werden aus den jeweiligen Verbformen gebildet, wie z.B. ‚Studierende‘ und ‚Lehrende‘. Diese Formen sind nicht antidiskriminierend: Sie assoziieren weiterhin vor allem männliche Personen und Merkmale, was in zahlreichen Perzeptionsund Diskursuntersuchungen bestätigt wurde (vgl. Kapitel 8). Diese Sprachform hat genau deshalb so schnell Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch gefunden, weil sie ausschließende Konzepte gerade nicht herausfordert, gängige Wahrnehmungen also nicht irritiert werden und sich auf diese Weise auch keine sozialen und diskriminierenden Konzeptualisierungen verändern.
Schrägstrich- und Klammerformen
Verbreitet verwendet werden ebenfalls sogenannte Schrägstrich- und Klammerformen. Bei der Schrägstrichvariante wird ein Schrägstrich ‚/‘ zwischen die konventionalisiert männliche und die konventionalisiert weibliche Form gesetzt, wie z B. in ‚Bibliothekar/in‘. Bei der Klammervariante wird die weibliche Form in Klammern in die männliche Form eingefügt, wie z.B. bei ‚Professor(inn)en‘. Beide Formen verbleiben in der → ZweiGenderung und ordnen zusätzlich die weibliche Form der männlichen Form grafisch unter – entweder durch Abtrennen oder Einklammern. Sie sind also nicht einmal zweigenderungs‚gerecht‘.
Verwendung von ‚man‘
Generalisierende Aussagen werden im Deutschen häufig durch die Verwendung von ‚man‘ formuliert: „Den Senatssaal der Universität im ersten Stock erreicht man über den Aufzug oder das Treppenhaus.“ Diese Sprachhandlung ist diskriminierend und wenig verantwortungsbewusst. Wie Perzeptionsstudien gezeigt haben (vgl. Kapitel 8), werden mit ‚man’ tatsächlich Vorstellungen von → weißen → ableisierten ‚Männern’ aufgerufen. Das gleiche gilt auch für die Benennung ‚Mensch’. Folglich sind ‚man’ und ‚Mensch’ keine neutralen Bezeichnungen, sondern re_produzieren immer wieder Vorstellungen von weißen ableisierten ‚Männern’ als prototypisch für das Allgemeinmenschliche. Damit sind viele Personen, die sich in dieser Kategorisierung nicht repräsentiert fühlen, ausgeschlossen. Außerdem werden durch solche Formen Personengruppen nicht differenziert benannt. Das heißt, es wird nicht explizit formuliert, inwiefern hier vielleicht → Privilegien und Diskriminierungen eine Rolle spielen. Welche Personen sind ‚man‘ in dem Beispielsatz und haben überhaupt die Möglichkeit, in Deutschland an einer Universität zu studieren, zu arbeiten oder zu Besuch zu sein? ‚Man‘ wirkt also oft pseudogeneralisierend und verdeckt Ausschlüsse.
Es gibt verschiedene Alternativen, den Beispielsatz anders zu formulieren, z.B. durch:
die Verwendung von Passivkonstruktionen: „Der Senatssaal im ersten Stock ist über den Aufzug oder das Treppenhaus zu erreichen.
die Verwendung von direkten Anreden: „Den Senatssaal im ersten Stock erreichen Sie über den Aufzug oder das Treppenhaus.“
Manchmal werden auch Ersetzungen mit ‚frau‘ oder ‚mensch‘ oder ‚wir/uns’ vorgenommen. Eine weitere Handlungsmöglichkeit ist auch in diesem Fall die spezifische Benennung der Personen und Personengruppen, die sich inhaltlich hinter dem ‚man‘ in einer Aussage verbergen. Indem ich also über diesen Satz nachdenke, kann ich mir zum Beispiel klar machen, welche Personen hier tatsächlich gemeint sind und welche ich ansprechen möchte: Personen, die Schriftsprache lesen können, die Deutsch können, die entweder Treppen oder Aufzüge benutzen können, können tatsächlich gemeint sein. Personen, die hier potenziell nicht angesprochen werden, sind: blinde Personen, Personen, die deutsche Schriftsprache nicht lesen können, Personen, die vielleicht Treppen nicht gehen können und Angst vor Aufzügen haben. Dann kann ich in einem nächsten Schritt überlegen, wie ich diese anspreche,wenn ich das will.
Das Nachdenken darüber und kreatives Ausprobieren hilft beim Verstehen von → strukturellen Privilegierungen und Diskriminierungen – und wie normal diese häufig sind. Vielleicht gibt es bspw. für die Veranstaltung einen anderen Ort
als den Senatssaal der Humboldt-Universität, um damit mehr Personen zu erreichen und ihnen einen Zugang ermöglichen zu können? Mache ich meine Veranstaltung im Stadtteil- oder Kiezkino, mit dem sich auch Personen identifizieren können, die eine Universität als einen exklusiven und ausschließenden Raum erleben?