8 – Argumentationshilfen für antidiskriminierende Sprachhandlungen

Im Folgenden werden Einwände genannt, die häufig gegen antidiskriminierende Sprachhandlungen vorgebracht werden. Darunter befinden sich jeweils Argumentationen, die diese Einwände auf unterschiedliche Weise aufnehmen und entkräften. Sie sollen in Diskussionssituationen → empowernd wirken und können direkt zum Einsatz kommen.

Problem: Ich bekomme in meinen Hausarbeiten immer die x- und Unterstrich-Formen angestrichen. Kann ich da irgendwas dagegen tun?

Gegenargument: Die Humboldt-Universität zu Berlin hat sich in ihrer Verfassung (§ 38) und in ihrer „Gleichstellungssatzung nach § 5a Berliner Hochschulgesetz“ (geplante Fertigstellung 2013, bisher nicht umgesetzt) verpflichtet, geschlechter‚gerechte‘ Sprache zu verwenden. Die vorliegende Broschüre zu antidiskriminierenden Sprachhandlungen konkretisiert diesen Anspruch und ist ein Angebot an alle Mitglieder der HU, aber auch an die Entscheidungsgremien, diesen Anspruch im Universitätsalltag konkret umzusetzen. Sie informiert über Bedeutung und Wirkungsweise von Sprache, erläutert zentrale Begriffe, die sprachliche Diskriminierungen und → Empowerment-Strategien betreffen, und macht konkrete Vorschläge für die Umsetzung beim Schreiben, Sprechen und Argumentieren.

sprachleitfaden_galerieIm Hauptgebäude der HU werden Personen porträtiert, die als berühmte RepräsentantInnen der Uni konstruiert werden. Das Plakat zeigt Mary Church Terrell, die als anti_rassistisch_genderistische Aktivistin in Berlin gelebt hat. Wieso wird ihr an der HU nicht ge_dacht? Welche Vor_stellung von Wi_ssenschaft wird durch die Auswahl der Porträtierten insgesamt re_produziert? Ein Projekt, das sich intensiv mit diesen Fragen beschäftigt hat, heißt „Who is missing. And why?“ (whoismissingandwhy.blogspot.de)

Einwand: Diese geschlechtergerechte Sprache macht alle Texte so lang, die Formen sind alle total aufgebläht/kompliziert/anstrengend.

Gegenargument: Für wex ist es aufgebläht und zu lang? Wex aber findet die Formen angemessen, hat das Gefühl, zum ersten Mal angesprochen zu sein? In dem Argument von Länge re_produziert sich sehr häufig eine → androgendernde Normsetzung. Für Personen, die durch kurze Formen diskriminiert werden, kann die Ausdrucksform gar nicht lang genug sein, um auch anwesend zu sein, um gemeint zu sein, um explizit angesprochen zu sein. Länge ist also kein Argument, wenn es um Angesprochensein, um Anwesenheit, um Antidiskriminierung geht. Und es macht Spaß, Begriffe und Phrasen so umzuformulieren, dass sie antidiskriminierend sind. In einigen Fällen kann z.B. der Satz ‚die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Seminars‘ einfach umformuliert werden in ‚diejenigen, die am Seminar teilnehmen können‘.

 

Einwand: Was kann und darf ich denn überhaupt noch schreiben?

Gegenargument: Möglichst viele neue kreative, herausfordernde, anwesende Sprachformen kann ich schreiben! Es gibt keine festgelegten, dauerhaften Regeln, keine Eindeutigkeiten, sondern die Möglichkeit, sich immer wieder über die Handlungsdimension des eigenen Sprachgebrauchs bewusst zu werden, kontinuierlich und in jeder Situation. Neue nicht-diskriminierende Formen entstehen beispielsweise häufig in Kontexten, wo Personen zusammenkommen, die sich z.B. durch den gängigen, prototypisch → androgendernden Sprachgebrauch nicht angesprochen und repräsentiert fühlen, in Schreibübungen, Gedichten, auf Partyflyern und Demo-Transpis. Insgesamt gibt es schon viele Möglichkeiten, antidiskriminierend zu sprechen und zu schreiben. Ein kreativer Umgang mit Sprache macht Spaß!

 

Einwand: Ich brauche keine geschlechtergerechte Sprache. Ich fühle mich auch bei männlichen Formen mitgemeint, ich habe kein Problem damit.

Gegenargument: Alle aktuellen Studien zum Einfluss sprachlicher Formen auf die Wahrnehmung, sog. Perzeptionsstudien, zeigen, dass bei → androgendernden Maskulina zuerst männliche Personen assoziiert werden und zwar durchgängig und unabhängig von anderen Geschlechterstereotypen (für einen Überblick: vgl.www.itn-lcq.eu; Gygax et al. (2008) und Kusterle (2011)). Nicht nur bei prototypisch männlich konnotierten Berufen hatten die Mitwirkenden der Studien bei der Verwendung des androgendernden Maskulinums Männer vor Augen, und das unabhängig von ihrem eigenen Gender-Selbstverständnis. Auch bei sogenannten ‚Frauenberufen‘ wurden bei der Verwendung des androgendernden Maskulinums Männer assoziiert. Es ist also keineswegs so, dass Frauen mitgedacht werden, wenn das androgendernde Maskulinum verwendet wird. Ein ‚generisches‘ Maskulinum existiert also psychologisch gesehen gar nicht, Maskulina sind immer pseudo-generisch, wenn sie nicht genderspezifisch männlich gemeint sind. Sich als → Inter*-, →Trans*- oder → frauisierte Person mit androgendernden Formen angesprochen zu fühlen, zeigt vielmehr, wie stark auch von ihnen → Sexismus/Genderismus internalisiert und wie stark Sexismus/Genderismus gesellschaftlich normalisiert ist. Vielleicht traue ich mich als Inter*,Trans* oder Frau auch nicht, dies zu benennen. Vielleicht schützt es mich manchmal auch, es nicht zu merken, nicht anzusprechen? Was aber nicht heißt, dass diese Form nicht sexistisch/genderistisch ist!

grafik_buchInternationales EU-Forschungsprojekt zum Zusammenhang von Sprache und Geschlecht in der Wahrnehmung mit sehr vielen empirischen Ergebnissen: http://www.itn-lcg.eu (26.11.2013)

grafik_buchKusterle, Karin: Die Macht von Sprachformen: der Zusammenhang von Sprache, Denken und Genderwahrnehmung. Frankfurt a. M.: Brandes & Apsel, 2011.

 

Einwand: Warum beschäftigt ihr euch denn mit so Sprach-Krams? Habt ihr sonst nichts zu tun und keine Probleme?

Gegenargument: Doch, ‚wir‘ haben viele Probleme mit → strukturellen Diskriminierungen und wie diese sich manifestieren und materialisieren. Und dass sprachliche Handlungen in vielen Diskussionen als ‚nicht so wichtig ‘ runtergespielt werden, ist ein Grund, der → strukturelle Diskriminierung so stark aufrecht erhält. Sprachliche Benennungen schaffen Wahrnehmbarkeiten, Normen, Kategorien, die dann in anderen sozialen Handlungen wirkmächtig und weitergehend umgesetzt werden. Sprache als nicht so wichtig herzustellen, erschwert die Argumentation dazu, wie fundamental strukturelle Diskriminierungen gerade auch in und durch sprachliche Handlungen getragen sind. Sprachliche Handlungen sind ganz grundlegend für jegliche sozialen Prozesse und diese zu ignorieren, macht ihre Unhinterfragbarkeit nur noch stärker – und sie damit umso machtvoller. Warum reicht es nicht, wenn → Trans_xs, → Inter* und → Frauisierte sagen, dass sie → genderistisch/sexistisch diskriminiert sind, wenn → Schwarze und → People of Color (PoC) und Rroma-Aktivistxs sagen, dass sie von bestimmten rassistischen Begriffen diskriminiert sind, dass sie nicht angesprochen sind, sich nicht gemeint fühlen und so nicht angesprochen werden wollen? Wofür bedarf es noch welcher Formen von Beweisen? Und um wex eigentlich zu überzeugen? Vor allem aber: Es geht hier um einen respektvollen und verantwortungsvollen Umgang mit eigenen Sprachhandlungen, ein Hinspüren zu sich selbst und aktives Zuhören der Wünsche und Bedürfnisse anderer, und nicht darum, ‚Beweise’ zu finden, dass Sprachhandlungen diskriminierend sind und → Machtverhältnisse ständig re_produziert werden. Eine nicht kritisch reflektierende Wissenschaft ist selbst Ausdruck dieser diskriminierenden Handlungen und Denkweisen.

grafik_buchKilomba, Grada: Plantation Memories: Episodes of Everyday Racism. Münster: Unrast-Verlag, 2008.

 

Einwand: Ist denn das wissenschaftlich alles überhaupt bestätigt?

Gegenargument: Ja, ist es.

grafik_buch vgl. Literaturverzeichnis

 

Einwand: Das klingt alles so kompliziert und unverständlich!

Gegenargument: Kompliziert‘ und ‚unverständlich‘ sind keine neutralen, über verschiedene soziale → Positionierungen hinaus allgemein- gültigen Eigenschaften oder Bewertungen. Es kommt immer auf die Position an, von der aus etwas als kompliziert und unverständlich aufgefasst wird. Als → trans_x_te Person finde ich jegliche → androgendernde Sprachhandlung nicht nur unverständlich, sondern diskriminierend. Wenn also eine durch → Sexismus/Genderismus → privilegierte Person eine antigenderistische Sprachform kompliziert oder unverständlich findet, so könnte dies ein spannender Impuls sein, über eigene Normen und unreflektierte → Privilegierungen nachzudenken – ein Gefühl von Unverständnis also auf sich selbst anzuwenden und nicht zu einer ‚neutralen‘ Norm zu erklären.

 

Einwand: Das ist ein feststehender Begriff, den kann ich doch nicht einfach so verändern! Das ist doch dann nicht mehr juristisch richtig. Der ‚Duden‘ hat bestimmt Recht und ‚Google‘ ist auch meiner Meinung.

Gegenargument: Die juristischen Begriffe sowie auch die Produktpalette der Wirtschaftsunternehmen ‚Duden‘ und ‚Google‘ sind nicht einfach schon da, sondern wurden und werden in Diskursen von Menschen gesetzt. Gerade dadurch und deshalb, weil ihre Normierungen so selten herausgefordert und infrage gestellt werden, können diskriminierende Handlungen und Denkweisen durch die Beibehaltung sogenannter ‚feststehender‘ Begriffe machtvoll und ungebrochen re_produziert werden.

 

Einwand: Ich finde das ja eigentlich ganz gut, aber meine Professor*in/ Vorgesetzte/ Kommiliton*in hält nichts von antidiskriminerender Sprache. Ich habe Angst um meine Note bzw. Angst, mich lächerlich zu machen.

Gegenargument: Verbündete suchen, Diskussionen anregen, argumentieren. Und wie schon oben gesagt – in unterschiedlichen Situationen müssen unterschiedliche Entscheidungen dazu getroffen werden, wie eine antidiskriminierende Handlung konkret aussehen kann. So spielt es z.B. auch eine Rolle, zu reflektieren, wie die → Macht- und Statusverhältnisse in einer konkreten Situation, z.B. an der Universität, sind. Davon nicht entmutigen lassen!

 

Einwand: Das geht mich doch alles gar nichts an. Weshalb sollte ich meine Sprachhandlungen ändern?

Gegenargument: Letztendlich entscheiden alle für sich selbst, wie sie sprechen_schreiben_sprachhandeln möchten. Genauso wie ich mich selbst entscheide, wie weit ich mich mit Diskriminierung beschäftige und Verantwortung dafür übernehme. Ich kann überlegen, ob ich bereit bin, mich selbst, gesellschaftliche Verhältnisse, bestimmte Situationen etc. zu reflektieren und kritisch zu hinterfragen, ob ich z.B. bei den Wahlen zum Studixsparlament eine bestimmte Partei wählen oder Wahlen aktiv boykottieren will. Fakt ist, dass wir immer involviert sind  und uns darum Sachen etwas angehen, dass wir Umstände und Verhältnisse mitbestimmen, egal ob wir aktiv eingreifen oder lieber schweigend zusehen – und auf diese Weise auch handeln. Nur weil ich nicht merke, wie meine → Privilegien darauf basieren, dass andere diskriminiert werden, heißt es nicht, dass ich als privilegierte Person nicht genauso involviert bin in → Rassismus_Ableismus_Sexismus/Genderismus_Klassismus_Migratismus.

Diskriminierungen sind nicht vor allem Angelegenheit von Diskriminierten, sondern eine gesamtgesellschaftliche Struktur und als solche eine Verantwortung vor allem dixjeniger, dix privilegiert sind, ihr_e Privilegien sozial verantwortlich gegen Diskriminierungen einzusetzen.

Und – sich Sprachhandlungen (wieder) anzueignen, Neues auszuprobieren, genau hinzuhören, schafft viele neue Kommunikationen, ist eine herausfordernde Form, politisch aktiv zu sein, erweitert die eigene Wahrnehmung immer
wieder und fortdauernd – und macht einfach sehr viel Spaß!

Einwand: Das wird doch wohl nicht von unseren Steuergeldern bezahlt!

Gegenargument: Wo ist das Geld in dieser Gesellschaft? Wex besitzt es? Wofür wird es ausgegeben? Keine Sorge – wir kriegen nix davon ab. Und wir sind fürs bedingungslose Grundeinkommen, yeah!

Einwand: Das geht grammatikalisch gar nicht!

Gegenargument: Interessant. In deiner Werteskala steht ganz oben wohl Grammatik und dann kommen Menschen. Und Grammatik,stimmt, ist absolut neutral, schon immer so gewesen und darf auf keinen Fall geändert werden????!!!! Für uns geht es hier um Menschen, wie diese sich anwesend fühlen, wie sie benannt werden wollen. Cool wenn ‚Grammatik‘ sich dann entsprechend dem Leben anpasst und es nicht diskriminierend verhindert.

grafik_buchCoyote, Ivan E.; Spoon, Rae: Gender Failure. Vancouver: Arsenal Pulp Press, 2014.